20.04.20 Interview der Woche
Der 23-jährige Mittelfeldspieler debütierte mit 17 beim FC Bayern München unter Pep Guardiola. Danach musste er auch Rückschläge wegstecken. Seit Anfang 2019 ist er bei YB - und glücklich.

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"Wenn eine Tür zugeht, öffnet sich anderswo eine neue"


22. August 2014 - was sagt Dir dieses Datum?
Ich erinnere mich zwar nicht mehr genau an das Datum, kann mir aber vorstellen, worum es bei der Frage geht.

Nämlich?
Um mein Debüt in der Bundesliga beim FC Bayern München.

Exakt. Und Du erinnerst Dich sicher noch an den Gegner und das Ergebnis.
Wir besiegten den VfL Wolfsburg 2:1.

Kommen Gedanken daran gelegentlich wieder hoch?
Das ist natürlich ein besonderer Moment, aber oft denke ich nicht mehr dran. Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt.

Du warst erst 17 und bekamst Lob von allen Seiten. Wie schwierig ist es für einen jungen Spieler, in solchen Momenten die Bodenhaftung nicht zu verlieren?
Für mich war mein Umfeld sehr wichtig, gerade meine Mutter, die mir in meiner Jugend viele Werte vermittelt hat, und darum bestand die Gefahr nicht, den Bezug zur Realität zu verlieren. Ich war als Mensch schon immer sehr demütig, auch eher zurückhaltend. Das ist wohl der Grund, dass ich das, was ich damals erlebte, als nicht so gross betrachtete wie es eigentlich war. Ich machte mich selber kleiner als ich es wirklich war. Aber es war in jenem Moment das richtige Verhalten, um möglicherweise auch verrückte Gedanken von mir fernzuhalten. Ich hatte nie das Gefühl, ein Star zu sein.

Und Du bist nie mit Statussymbolen aufgefallen.
Nein. Ich war nie der Typ, der solche Dinge brauchte. Aber es ist für junge Talente nicht immer einfach, mit beiden Füssen auf dem Boden zu bleiben. Du darfst mit den Profis trainieren, mit berühmten Spielern, du siehst, wie sie ihren Alltag leben, wie sie gekleidet sind, wenn sie zum Training kommen, welche Autos sie fahren - da besteht für Junge schon die Gefahr, den Bezug zur Realität zu verlieren. Da ist es von Vorteil, Menschen um sich zu haben wie ich zu jener Zeit. Sie gaben mir immer wieder wertvolles Feedback.


Freistosstor gegen den FCZ: Mit einem cleveren Schuss trifft Gaudino unter der Mauer hindurch ins Netz.

Bei Deinem Einstand in München unter Trainer Pep Guardiola hast Du an der Seite von David Alaba im Mittelfeld gespielt, vor Dir war Robert Lewandowski, im Tor stand Manuel Neuer, über 70’000 Zuschauer füllten das Stadion - kamst Du Dir vor wie in einem Traum?
Nicht unbedingt, ich spielte einfach und machte mir gar nicht so viele Gedanken. Das kam erst später.

Kann man das jugendliche Unbeschwertheit nennen?
Das würde ich so beschreiben. Als ich anfing, über vieles nachzudenken, fiel es auf einmal schwerer, an den gewohnten Leistungen anzuknüpfen. Die Leichtigkeit, die ich am Anfang noch hatte, verlor ich während einer gewissen Zeit, weil ich reflektierte, was in wenigen Wochen passiert war. Und diese Überlegungen wirkten eher blockierend.

Trotzdem setzte Pep Guardiola Dich in der Bundesliga-Saison 2014/15 acht Mal ein. Und Du wurdest mit dem FC Bayern Meister.
Ich nehme das natürlich gerne mit, es war auch ein wunderschönes Erlebnis. Ich bin dankbar dafür. Wenn ich auf dem Platz stehe, gebe ich stets alles, um der Mannschaft zu helfen.

Das heisst?
So wahnsinnig gross war mein Beitrag zum Titel nun auch wieder nicht. Aber das ist halt mein Naturell: Ich nehme mich zurück.

Hast Du noch Kontakte mit Leuten vom FC Bayern?
Nur noch mit Peter Wenninger, der mehrere Jahre mein Jugendtrainer war und mir nicht nur fussballerisch viel beigebracht, sondern mich auch menschlich ein Stück weit geprägt hat. Er legte immer Wert darauf, dass wir uns stets respektvoll verhielten, gegenüber dem Gegner und auch generell im Leben.

Anfang 2016 kamst Du zum FC St. Gallen, und eigens für Deine Vorstellung wurde eine Pressekonferenz einberufen. Das ist normalerweise nur bei einem neuen Trainer der Fall.
Ich war nervöser als vor manchem Spiel, weil ich zu jenem Zeitpunkt nicht der Typ war, der gerne vor vielen Leuten sprach. Aber auch diese Pressekonferenz brachte mich einen Schritt in meiner persönlichen Entwicklung weiter. Und jetzt habe ich überhaupt keine Mühe mehr mit solchen Auftritten. Heute weiss ich auch, wie ich auf welche Fragen, auch auf heiklere, vernünftig antworten kann.


Gaudino sucht das Duell mit Xamax-Verteidiger Xhemajli.

Anderthalb Jahre später ging Deine Reise weiter nach Verona zu Chievo. Hast Du den Wechsel im Nachhinein bereut?
Nein. Ich hörte bei meinem Empfang zwar viele nette Worte und Versprechungen, die am Ende nicht eingehalten wurden. Und ich spielte nicht oft mit der ersten Mannschaft. Trotzdem sehe ich dieses Jahr in Verona als positive Erfahrung an, ich habe meinen Rucksack auch in Italien füllen können wie an jeder der bisherigen Stationen. Auch wenn es für mich kein Vorteil war, dass ich immer wieder mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht wurde.

Das heisst?
Gerade in Verona hatten viele Leute das Gefühl: Da kommt einer vom FC Bayern, und wer da gespielt hat, muss ein Grosser sein. Das ist halt der Reflex. Ich kam dort an, mit einem italienischen Namen zwar, aber ich sprach noch nicht Italienisch. Aber ich lernte in diesem Jahr trotz allem in vielen Belangen dazu, auch fussballerisch. Körperlich etwa legte ich zu. Und die weniger schönen Dinge, die habe ich in der Vergangenheit einfach liegen lassen. (lacht)

Nach Verona hattest Du von August bis Ende Jahr 2018 keinen Verein. Beschlichen Dich in dieser Zeit zwischendurch Selbstzweifel?
Als ich den Vertrag aufgelöst hatte, war ich überzeugt, das Richtige getan zu haben. Ein Stück weit hatte ich den Spass am Fussball verloren. Und wenn der Spass nicht mehr da ist, wird es schwierig. Mental war ich trotz allem gut drauf und sagte mir: Lieber machst du zwei, drei Schritte zurück, um nochmals richtig anzugreifen. Wie in jedem Prozess gab es auch hier Höhen und Tiefen. Ich habe aber immer den Glauben behalten, dass es wieder klappt. Weil ich mich am Credo orientierte: Wenn eine Tür zugeht, öffnet sich anderswo eine neue. Ich habe stets hart dafür gearbeitet, mich zu verbessern, und nie aufgegeben. Ausserdem hatte ich stets Vertrauen in mein Können, mein Umfeld und besonders in meine Berater gehabt. Es ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Und wichtig ist auch, einen klaren Kopf zu bewahren, auch wenn Zweifel aufkommen.

In Deinem Fall öffnete sie sich in Bern.
Zum Glück! Ich durfte für ein paar Wochen mit der zweiten Mannschaft von Mönchengladbach trainieren und hätte auch dort bleiben können. Aber dann ergab sich die Möglichkeit, bei YB ein Probetraining zu absolvieren. Für mich war klar: Wenn ich die Chance erhalte, bei den Young Boys einen Vertrag unterschreiben zu können, will ich sie unbedingt nutzen.

Der Wechsel kam zustande, Du bist immer noch da - und offensichtlich gefällt es Dir.
Sehr gut sogar!

Warum ist YB für Dich der ideale Verein?
Es ist ein sehr ruhiger, familiärer Klub. Und er hat mir das Vertrauen geschenkt, das ich lange nirgends mehr bekommen habe. An den Stationen zuvor waren die Erwartungen in mich sehr hoch, im Sinn von: Du musst liefern. Generell ist es nicht einfach, Vergleiche zu ziehen. Das sollte man auch nicht zu sehr. Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe bei YB. Bei YB gibt man einem Zeit und arbeitet sehr kontinuierlich, die Entwicklung steht hier im Vordergrund, obwohl man sehr grosse Ambitionen hat. Der Druck ist ein anderer. Die Rahmenbedingungen sind sehr gut hier. Mir wird das Gefühl gegeben: Wir sind froh, dass Du da bist, und wollen dich weiterbringen. Es herrscht ein gutes Klima, eines, das mir guttut.

Ist Bern für Dich gemütlich und entspannt?
Absolut. Die Stadt ist mega schön. Meine Freundin und ich fühlen uns hier extrem wohl. Wir wohnen auf dem Land und schätzen die Ruhe, das Gemütliche.


Gaudino jubelt nach seinem herrlichen Freistosstor in Thun.

Dein Vater Maurizio hat fast 300 Partien in der Bundesliga bestritten, er war auch deutscher Nationalspieler. Und da kommen automatisch Vergleiche. Haben sie Dich belastet?
Die Vergleiche gab es sicher, aber ich wurde nicht so direkt damit konfrontiert. Und ich fühlte mich durch den Namen Gaudino auch nie unter Druck gesetzt.

Hast Du Deinen Vater noch spielen sehen?
Nur auf Videos. Ich weiss, wie er spielte. Ich sah viele Tore von ihm.

Welche Qualitäten von ihm hättest Du gerne in Deinem Repertoire?
Sein dominantes Auftreten auf dem Platz. Generell orientiere ich mich aber nicht gerne an den Qualitäten anderer, ich bin ein eigener Spielertyp. Wichtig ist die klare Fokussierung auf meine Qualitäten und das stetige Lernen für mich.

Was hast Du ihm voraus?
Schwierig. Auch wenn er mich oft trainiert hat und ich viel von ihm gelernt habe, sind wir zwei unterschiedliche Spielertypen. Darum lasse ich solche Vergleiche lieber sein. Er war ein kreativer Spieler, ich bin es auch. Er liebte das Spiel, ich liebe es auch. Das finde ich das Schöne: dem Zuschauer zu vermitteln, dass man Freude hat an dem, was man tut.

Ist Dein Vater ein kritischer Beobachter und teilt Dir nach Spielen mit, wie er Deine Leistung beurteilt?
Nein. Früher brauchte ich die Rückmeldungen, heute bin ich an einem Punkt, an dem ich gut selber einschätzen kann, was gut und was weniger gut war. Ich stelle auch nicht mehr alles in Frage wie früher vielleicht, wenn ich mal mein Leistungsniveau nicht erreichte hatte. Ich habe mich in den vergangenen Jahren in allen Bereichen entwickelt, sowohl fussballerisch wie auch menschlich. Ich habe bei YB wieder neue Dinge gelernt und bin dankbar dafür. Und ich weiss auch, dass der Prozess des Lernens noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin auf jeden Fall bereit, Neues an- und aufzunehmen und Tag für Tag ein bisschen besser zu werden.

Wie beschreibst Du einem alten Weggefährten in Deutschland die Schweizer Super League?
Ich kann viel Positives erzählen. Gerade jungen Spielern kann ich die Liga empfehlen. Die Schweiz ist ein sehr gutes Pflaster für Talente, um einen weiteren Schritt voranzukommen. Man sieht das auch bei YB. Djibril Sow ist ein Beispiel: Er kam aus Deutschland zurück, konnte sich hier entfalten und spielt nun bei Eintracht Frankfurt in der Bundesliga eine starke Rolle.


YB-Mittelfeldspieler Gianluca Gaudino ist ein toller Techniker.

Zum Schluss würden wir gerne von Dir erfahren, wer für Dich der beste Mittelfeldspieler der Welt ist.
Darfs auch einer sein, der mittlerweile aufgehört hat?

Natürlich.
Andrés Iniesta. Er war mein absoluter Hero. Wer mich ebenfalls begeisterte, ist Ronaldinho. Von ihm kann ich heute noch stundenlang Videos schauen. Er hat mich mit seiner spektakulären Art inspiriert.

Und wer ist aktuell der Beste?
Für mich ist es der Spanier Thiago vom FC Bayern München. Mich beeindruckt, mit welcher Eleganz er heikle Situationen löst. Gleichzeitig verfügt er über eine enorme Zweikampfstärke. Als junger Spieler kann man sich von ihm sehr viel abschauen.

Wer war Dein bislang unangenehmster Gegenspieler?
Dennis Hediger vom FC Thun ist schon sehr aufsässig.

Wer ist der beste Kabinen-DJ, den Du erlebt hast?
Moumi Ngamaleu. Auch wenn er nicht immer meinen Musikgeschmack trifft. (lacht) Musik gehört zu ihm, er trägt immer ein Lächeln im Gesicht, hat Spass und sprudelt vor Lebensfreude.

Und welche Stadt ist für Dich die schönste überhaupt?
Ich habe so viele Städte der Welt noch nicht gesehen, darum möchte ich mich nicht festlegen. Aber ich habe schon in schönen Städten leben dürfen. Und Bern gehört dazu.

[pd][sst]


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