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Camara,
der Positivdenker aus Guinea
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Bericht
11.05.20
Interview der Woche
Mohamed Ali Camara verlor trotz seines Schienbeinbruchs im vergangenen August nie seinen Optimismus. Der 22-jährige Verteidiger hat ehrgeizige Pläne - und für ihn ist nicht Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi der aktuell weltbeste Spieler, sondern Virgil van Dijk.
***
"Ich sagte mir: Die Welt geht nicht unter"
Mohamed Ali Camara, am 2. August 2019 hast Du einen Schienbeinbruch erlitten. Wie geht es Dir heute?
Sehr gut. Es war meine erste gravierende Verletzung der Karriere, die mich zu einer monatelangen Pause zwang. Aber ich habe mich davon erholt - dank intensiver Arbeit und dank der Unterstützung von sehr vielen Leuten im Klub. Wenn es nun mit der Meisterschaft wieder losginge, wäre ich jedenfalls einsatzbereit.
Fühltest Du Dich in der Zeit der Reha nie allein?
Gar nicht. Ich stand immer im Kontakt mit meinen Teamkollegen, mit dem Staff, alle waren immer für mich da. Ich war jederzeit bestens betreut.
Würdest Du wieder furchtlos in jeden Zweikampf gehen wie vorher schon?
Ganz bestimmt. Ich habe keine Bedenken, Duelle zu bestreiten. Weil Angst etwas ist, das ich eigentlich nicht kenne, erst recht nicht als Fussballer. Ich bin jemand, der kompromisslos seine Ziele verfolgt.
Hast Du während der langen Verletzungspause nie Deinen Optimismus verloren?
Nein. Was auch immer in meinem Leben passiert: Ich versuche, meine positive Einstellung zu bewahren und auch im Unglück etwas zu sehen, das mich weiterbringen könnte. Ich nahm darum auch in diesem Fall die Situation gut an.
Was heisst das konkret?
Es bringt nichts, mit dem Schicksal zu hadern oder zu zweifeln. Ich sagte mir: Die Welt geht nicht unter, jetzt muss ich das Beste machen und will mich auf keinen Fall von diesem Rückschlag aufhalten lassen. Schon am ersten Tag war mir bewusst, dass ich einen langen Weg vor mir habe. Aber eines war ebenso schnell klar: Ich arbeite hart und kehre stärker zurück. Nichts anderes als das hatte ich im Kopf. Diese Mentalität hat mir sehr geholfen. Resignation war nie eine Option.
Kopfballtor gegen Basel im September 2018: Camara setzt sich gegen Van Wolfswinkel durch.
Wie fühlte es sich an, auf der Tribüne zu sitzen und der Mannschaft zuschauen zu müssen?
Es tat zwar weh. Aber ich konnte mich dennoch damit relativ gut abfinden, weil ich mich mental darauf einstellte, auf der Tribüne sitzen zu müssen und nicht mitspielen zu dürfen. Die Rolle war zwar ungewohnt, aber die Erfahrung, keinen Einfluss nehmen zu können, gehörte eben auch zum ganzen Prozess.
Du hast mit 20 Jahren Deine Heimat Guinea verlassen und bist nach Israel gezogen. Was hat es mit diesem Transfer auf sich?
Ich war mit 17 schon ein erstes Mal in Europa, als ich während ein paar Monaten in der Akademie von KAA Gent ausgebildet wurde. Später war ich auch in Frankreich, bei Bastia, Troyes und Auxerre. Mit der U-20-Nationalmannschaft von Guinea nahm ich am Afrika-Cup teil, auch an der U-20-WM - danach gab es viele Anfragen von Klubs. Ich hätte in Frankreich Probetrainings bestreiten können. Aber dann kam dieses Angebot aus Israel, bei dem ich mehr oder weniger die Gewähr hatte, auch konstant zum Einsatz zu kommen. Bei Lille oder Rennes in der Ligue 1 hätte ich diese Aussicht weniger gehabt. Israel schien mir darum ein geeigneter nächster Schritt zu sein.
Brauchte es Mut für diesen Wechsel?
Ich würde nicht unbedingt von Mut reden. Mein Herz sagte mir, dass es das Richtige ist. Ich ging allein nach Israel, aber das machte mir damals nichts aus. Ich wusste, was ich wollte, ich war überzeugt, dass ich es packe und dort auf mich aufmerksam machen kann.
Gab es auch kritische Kommentare?
Die gab es. Mich fragten einige: Was willst Du in Israel? Was soll dieser Wechsel? Du musst doch in eine andere Liga! Aber ich liess mich von solchen Stimmen nicht irritieren. Ich antwortete immer, dass ich sehr wohl wisse, was ich tue. Und dass ich die israelische Liga gewissermassen als Sprungbrett betrachte.
Du bekamst Recht.
Ja, es sieht so aus. Es ist alles gut gegangen bis jetzt.
Nach einem Schienbeinbruch musste Mohamed Ali Camara viele YB-Spiele als Zuschauer verfolgen.
Hattest Du als junger Spieler ein Vorbild, an dem Du Dich orientiertest?
Sergio Ramos. Er beeindruckte mich früher und er beeindruckt mich heute noch. Er hat einen starken Charakter, ist unerschrocken und ein Leader, sowohl bei Real Madrid als auch in der spanischen Nationalmannschaft.
War für Dich immer klar, dass Du Profi werden willst?
Ja. Ich träumte nie von einem anderen Beruf.
Davon träumen Millionen von Jungen. Was braucht es, um den Durchbruch zu schaffen?
In erster Linie Persönlichkeit. Und dann ist Fleiss wichtig. Wer weiterkommen will, muss bereit sein, viel zu arbeiten und praktisch alles dem Fussball unterzuordnen. Ich kann mir vorstellen, dass einige scheitern, weil diese Bereitschaft nicht ausreichend vorhanden ist oder sie sich ablenken lassen. Meine Konzentration gilt dem Fussball.
Was machst Du in Deiner Freizeit?
Ich treffe mich gerne mit Kollegen, sitze zwischendurch vor der Playstation oder lese. Aber es soll nichts sein, das meine Leistung beeinträchtigen könnte.
Was liest Du gerade?
Ein Buch über Nelson Mandela, in der sein Leben beschrieben wird, die Zeit im Gefängnis und die Ära als Präsident von Südafrika. Mandela ist ein grosses Vorbild, von dem jeder Mensch etwas lernen kann.
Seit 2018 bist Du nun in Bern. Du hast mit YB in der Champions League gespielt und bist auch Meister geworden. Was löste das in Dir aus?
Wunderbare Gefühle. Als Bub träumte ich davon, einmal in der Champions League zu spielen. Mit YB durfte ich das erleben und den Meistertitel feiern. Es ist nicht so einfach, dafür die richtigen Worte zu finden: fantastisch, unvergesslich.
Konnte Deine Familie in Guinea Spiele von Dir sehen?
Die Partien in der Champions League konnte sie alle schauen, jene in der Super League leider nicht. Einer meiner Brüder hat mich einmal besucht, und meine Eltern werden auch bald einmal kommen.
Nach dem Unfall zeigten Camaras Teamkollegen grosse Solidarität und liefen im Spiel gegen Lugano mit seiner Rückennummer ins Stadion ein.
Bei YB geniesst Du hohe Akzeptanz, weil Du keine Berührungsängste kennst und sehr umgänglich bist. Hattest Du immer diese offene Art?
Ja. Ich habe keine Mühe, auf Leute zuzugehen und mich an einem fremden Ort zu integrieren. In der Schweiz fiel mir das erst recht nicht schwer, weil ich die Bernerinnen und Berner als sehr offen und gastfreundlich wahrnehme. Wichtig ist mir auch Hilfsbereitschaft. Ich bin so erzogen worden: Wenn ich jemanden unterstützen kann, tue ich das jederzeit.
Bist Du auch ein neugieriger Mensch?
Oh ja. Ich will immer Neues lernen. Oft frage ich Assistenztrainer Matteo Vanetta, der sich vor allem um die Defensivspieler kümmert, was ich besser machen kann. Mein Ziel ist es, kontinuierlich Fortschritte zu erzielen.
Was fehlt Dir aus Guinea?
Vor allem meine Familie: die Eltern, die Schwester und die drei Brüder.
Und wie kommst Du mit dem mitteleuropäischen Klima zurecht?
Eigentlich problemlos. Auch wenn der Winter mit tiefen Temperaturen nicht meine bevorzugte Jahreszeit ist.
Es gibt viele hervorragende Fussballer aus Guinea. Wer ist für Dich der Beste?
Derzeit ist es sicher Naby Keita vom FC Liverpool.
Du bist nicht der erste Spieler aus Deinem Land, der in der Schweiz unter Vertrag steht.
Spontan erinnere ich mich an drei Landsleute: Kamil Zayatte spielte einmal bei YB, Pascal Feindouno und Kevin Constant waren bei Sion.
Du bist Nationalspieler Guineas. Stehst Du in Kontakt mit Trainer Didier Six?
Wir haben telefoniert. Er hat mir nach der Verletzung Mut zugesprochen. Natürlich ist es mein Ziel, in Zukunft regelmässig für die Nationalmannschaft zu spielen. Mich macht es enorm stolz, mein Land vertreten zu dürfen. Aber um wieder ein Aufgebot zu erhalten, muss ich bei YB mit Leistungen überzeugen. Auch darum bin ich etwas ungeduldig. Ich möchte so schnell wie möglich wieder mit meinem Verein spielen. Und den Meistertitel verteidigen.
An einem Thema kommen wir nicht vorbei: Was hat es mit Deinem Vornamen auf sich? Sind Deine Eltern Boxfans?
(schmunzelt) Nein, sie haben nicht an Muhammad Ali gedacht. Ich heisse so, weil mein Grossvater schon diesen Vornamen hatte. Aber ich bewundere Muhammad Ali trotzdem. Weil er ein Meister ist. Das will ich auch sein.
Hast Du einen Plan für die nächsten Jahre Deiner Karriere?
Ich möchte irgendwann den Sprung in eine der fünf grossen Ligen Europas schaffen und am liebsten in die Premier League. Für mich ist es die stärkste Liga der Welt. Und Liverpool ist die beste Mannschaft. Aber vorderhand denke ich nur an YB. Ich habe hier einen Vertrag bis 2022 und noch einige Ziele vor mir.
Naby Keita könnte bei Jürgen Klopp für Dich ja ein gutes Wort einlegen.
(lacht herzhaft) Genau! Gelegentlich reden wir zwar zusammen, wir haben auch eine Chat-Gruppe aus der Nationalmannschaft. Aber um bei Liverpool ein Thema zu werden, muss man ein enorm guter Spieler sein. Und um richtig gut zu werden, muss man sehr viel arbeiten. Es liegt also an mir, an meinen Beinen, an meinem Kopf.
Beim 2:1-Sieg in der Champions League gegen Juventus zeigte Camara eine vorzügliche Leistung.
Zum Schluss noch vier Sätze, die Du vervollständigen solltest. Mein schönstes Erlebnis bisher in Bern war…
...mein erstes Champions-League-Spiel gegen Manchester United in Bern. Wie vorhin schon erwähnt: Ein Kindheitstraum wurde Wirklichkeit. Es war ein aussergewöhnliches Erlebnis in einer einzigartigen Stimmung. Und grossartig war natürlich auch der Gewinn der Meisterschaft.
Mein unangenehmster Gegenspieler bislang war…
...Paulo Dybala von Juventus Turin. Er hat mir und uns in der Champions League einige Mühe bereitet. In Turin schoss er alle drei Tore gegen uns - und ich sah nach einem Foul an ihm die gelb-rote Karte…
Der weltbeste Fussballer ist…
...Virgil van Dijk vom FC Liverpool. Er ist als Innenverteidiger ein kompletter Fussballer, schlicht überragend.
Mein erster deutscher Ausdruck, den ich lernte, war…
...guten Morgen!
[pd][sst]
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