20.11.23 On this Day

1957 werden die Young Boys erstmals seit 1929 wieder Schweizermeister. Sie wurden von Trainer Albert Sing zu einer starken Mannschaft geformt, werden in den nächsten Jahren drei weitere Meistertitel gewinnen und auch international für Furore sorgen. Aber vorerst steht die erste Europacup-Aufgabe in der Klubgeschichte bevor. Die Auslosung des ersten Gegners löst alles andere als Begeisterung aus. Dies nicht aus sportlichen, sondern aus politischen Gründen: Man soll «gegen die Kommunisten» aus Ungarn spielen, gegen Vasas Budapest.

Vasas ist der Armeeklub der Ungarn. Und man muss wissen: Damals, 1957, ist Ungarn kein freier Staat, sondern er ist annektiert von der Sowjetunion. Das ungarische Volk lebt «hinter dem Eisernen Vorhang» und wird unterdrückt. Hunderte sind im Jahr 1956, als sich das Volk in Ungarn gegen die Sowjets erhob, beim blutigen Aufstand getötet worden. Tausende fliehen nach Österreich, nach Deutschland und in die Schweiz. Das Mitgefühl der Schweizer Bevölkerung mit den Magyaren ist riesengross. Und nun soll YB ausgerechnet gegen Vasas antreten, den Armeeklub des von den Sowjets kontrollierten Innenministeriums Ungarns.

Es war eine heikle Situation für den BSC Young Boys. «Spielt nicht gegen die Kommunisten», wurde von lokalen Politikern gefordert. Doch der YB-Vorstand war – im Einvernehmen mit dem Schweizerischen Fussballverband – anderer Meinung: Schon nur aus Solidarität gegenüber späteren Schweizermeistern wollte man dem Aufgebot der UEFA Folge leisten und gegen Vasas antreten. Schliesslich habe sich die Berner Mannschaft für diesen Wettbewerb auf sportliche Weise qualifiziert.

Doch es tauchten neue Probleme auf – zum Beispiel bei der Frage der Visumserteilung. Das politische Departement sicherte zwar seine Unterstützung zu: Bundesrat Max Petitpierre wollte den Fall selbst in die Hand nehmen, doch das Justizdepartement mochte sich nicht festlegen, bevor eine Stellungnahme der Stadt vorlag. Der Berner Gemeinderat allerdings erachtete den Zeitpunkt des Spiels aus Rücksicht auf den Jahrestag des Ungarn-Aufstandes als ungünstig und riet den Young Boys, den Match – wenn überhaupt – im Ausland durchzuführen. Auch an jedem anderen Datum müsse ein solches Spiel in Bern verboten werden.

Worauf YB dank den Beziehungen von Trainer Sing eine Austragung in Stuttgart plante. Von den deutschen Behörden erhielt man vorerst grünes Licht – und im Vorverkauf wurden bereits 14'000 Tickets abgesetzt. Doch drei Tage vor dem Spiel folgte die Absage: In der entsprechenden Depesche aus Deutschland war zu lesen, dass sich die Stuttgarter Behörden an den Beschluss des Berner Gemeinderats anlehnten. Die Mannschaft von Vasas befand sich bereits am Flughafen von Budapest, als die Kunde der Stuttgarter Absage eintraf…

Was nun? Das Datum stand: 17. November 1957. Irgendeine Lösung musste gefunden werden. YB versuchte erneut, den Berner Gemeinderat umzustimmen. Doch die Polizeidirektion blieb hart: Obschon die Sprecher der ungarischen Flüchtlinge in der Schweiz erklärt hatten, dass vor oder nach dem Spiel keine Aktionen oder Demonstrationen veranstaltet würden, konnte die Berner Stadtregierung die Sicherheit für Ruhe und Ordnung nicht garantieren – der Match wurde noch einmal verboten.

Dazu war im YB-Kluborgan zu lesen: «Wir müssen sagen, dass uns die Haltung des Berner Gemeinderats schwer enttäuscht hat und wahrscheinlich hat sich mancher YBler in seiner Enttäuschung geschworen, bei den nächsten Wahlen mit dem Stimmzettel die Quittung für die Absage zu geben.»

Gemäss den damaligen Protokollen gab es auch positive Erfahrungen: «Die moralische Unterstützung des Vorstandes durch einen bedeutenden Teil der Mitgliedschaft war stark zu spüren. Unser herzlicher Dank gilt aber auch der Aufgeschlossenheit unserer welschen Sportfreunde, welche unsere Clubleitung von Anfang an unterstützten und dann durch den FC Servette auch Wort hielten. Wie wär's mit einem Sonderapplaus für die Servettiens beim nächsten Spiel auf dem Wankdorf? Die Grenats setzten sich bei den Behörden ihrer Stadt sehr für uns ein und erreichten, dass das Spiel gegen Vasas am 20. November im Charmilles-Stadion stattfinden konnte.»

Niemand durfte sagen, der durch Servette ausgezeichnet organisierte und von 20'000 Zuschauenden besuchte Match sei für YB kein Heimspiel gewesen. Die Young Boys versuchten von Anfang an, für Stimmung zu sorgen. Nach einer Kombination Meier-Grütter-Rey hiess es schon bald 1:0 durch Wechselberger. Ein (wie es in der Presse zu lesen war) «dummes, und unnötiges und weiss Gott in allen Teilen unglückliches Eigentor» führte letztlich zum 1:1-Unentschieden. Zu allem Überfluss wurde erst noch Ernst Wechselberger völlig unberechtigterweise des Feldes verwiesen.

Das Rückspiel im Achtelfinal in Budapest ging am 30. November 1:2 verloren. Das YB-Tor schoss Heinz Schneiter.

Das Telegramm vom 20. November 1957:

YB - Vasas Budapest 1:1
Charmilles, Genf. - 20'000 Zuschauende. - SR Campanati (Italien).
Tore: 7. Wechselberger 1:0. 89. Eigentor Zahnd 1:1.
YB: Eich - Zahnd, Steffen, Bigler - Häuptli, Schneiter - Wechselberger, Meier, Allemann, Rey, Grütter.

[cb][sst]




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